Helga Maria Craubner
Am 10. Dezember 1948 verkündete Eleanor Roosevelt als Vorsitzende der UNO-Menschenrechtskommission die Menschenrechte. Das kam einer friedlichen Revolution gleich: Die noch recht junge internationale Organisation der UNO hatte sich nach langem Ringen und aufwendigen Verhandlungen auf gemeinsame Werte geeinigt. Leidenschaftliches Engagement für eine bessere Welt nach den Schrecken der Weltkriege ist auch heute noch darin zu spüren. Treibenden Kräfte waren Ideale und die Hoffnung, dass sich diese Werte eines Tages auch verwirklichen lassen. Heute wissen wir, fragil die Umsetzung dieser Werte ist und wie viel Aufmerksamkeit und Mut es immer noch braucht, sie zu fordern und sich an ihnen zu orientieren, wie viel Ringen nach wie vor notwendig ist, sie auch umzusetzen. Und das gilt sowohl im internationalen wie auch für den privaten Kontext. – Folgt man dem alten Gedanken des „wie im Kleinen so im Großen“, ist es nicht nur eine politische, sondern auch eine persönliche Herausforderung, die Werte der Menschenrechte zu leben. Bilden sie doch Grundvoraussetzungen für das selbstwirksame Gestalten des eigenen Lebens, das Ausstrahlen des Einzelnen in eine Welt, die sich doch die Meisten als eine „bessere“ wünschen.
75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
75 Jahre ist sie jetzt alt, die Universelle Erklärung der Menschenrechte. 1948 konnten die internationalen Menschenrechte nach zähen Verhandlungen verkündet werden. Die Vorsitzende der UNO-Menschenrechtskommission, Eleanor Roosevelt erklärte in den frühen Morgenstunden dieses 10. Dezember, dass die Menschenrechtserklärung „Hilfe, Wegweiser und Inspiration“ für Millionen von Menschen sein würde. Damit war sie die zweite Frau, die in der Geschichte der Menschenrechte eine entscheidende Rolle spielte.
Die erste Frau, die es wagte, mit ihren Forderungen nach dem gleichen Recht für alle Menschen, auch für Frauen, in die Öffentlichkeit zu treten, war 1791 Olympe de Gouges, die für ihr Engagement damals allerdings hingerichtet wurde. Die französische Frauenrechtlerin verfasste das Dokument zur Gleichstellung der Frau entsprechend der zwei Jahre zuvor formulierten Erklärung der französischen Nationalversammlung, die den Grundstein für Demokratie und Freiheit in Europa legte, damals aber nur für Männer gedacht war.
160 Jahre später war man mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte weiter, auch wenn die gleichen Rechte für alle Menschen noch keine Rechtsverbindlichkeit besaßen. Aber immerhin war die Erklärung Grundlage für viele demokratische Staatsverfassungen und Menschenrechtsverträge auf der ganzen Welt, zu denen u.a. auch die Diskussionen um die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Aufhebung der Rassentrennungen oder die Inklusion gehören.
Frühe Menschenrechtserklärungen
Die Geschichte der Mensche nrechte geht jedoch sehr viel weiter in die Geschichte zurück als die Französische Revolution. Man kann beispielsweise 1215 bei der „Magna Carta Libertatum“ („große Urkunde der Freiheiten“) des König Johann in England beginnen. Verfolgt man von da an die Geschichte, lässt sich erkennen, wie der Geltungsbereich menschlicher Rechte Schritt für Schritt ausgeweitet wurde. Bezog König Johann seinen Erlass noch auf die Adeligen, werden 1628 in der „Petition of Rights“ alle Bürger einbezogen, Meinungsfreiheit wird immerhin den Parlamentsabgeordneten zugebilligt. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung aus dem Jahr 1776 legt dann bereits fest, dass alle Menschen gleich sind und jedes Individuum Menschenrechte besitzt. Was einen die Geschichte der Menschheit ebenfalls lehrt, ist jedoch, dass derartige Erklärungen, und seien sie auch noch so hart errungen, eine Sache sind, die Realität jedoch eine ganz andere. Viele der historischen Erklärungen wurden nicht umgesetzt oder ignoriert. Es dauerte Jahrhunderte und so manche Schreckensherrschaft, bis sich eine internationale Versammlung auf gemeinsame Werte einigte.
Menschenrechte heute?
Und wie ist das heute? Wir leben in unruhigen Zeiten. An vielen Orten der Erde brechen Konflikte aus. In vielen Ländern herrscht keine Demokratie, sind Unrecht und Willkür, Machtgehabe und Unterdrückung auf dem Vormarsch. Umso wichtiger erscheint es mir, an die Geschichte zu erinnern und im eigenen Umfeld aufmerksam zu sein. „Wo beginnen Menschenrechte?“, fragte schon Eleanor Roosevelt und beantwortete ihre Frage gleich selbst: „In kleinen Orten, ganz in der Nähe – so nach und so klein, dass sie auf keiner Weltkarte zu sehen sind. (…) Die Nachbarschaft, in der wir leben, die Schule oder Hochschule, die wir besuchen, die Fabrik, der Bauernhof oder das Büro, wo wir arbeiten. (…). Solange diese Rechte dort keine Geltung haben, sind sie auch anderswo nicht von Bedeutung.“ Sie spricht damit an, dass das was im Kleinen nicht funktioniert, schwerlich auch im großen Zusammenhang verwirklicht werden kann. In ihren Worten ist für mich auch die Hoffnung enthalten, dass das, was im Kleinen funktioniert, ausstrahlen und sich fortsetzen kann. Gleichzeitig ist es Absage an die Idee, dass die Verantwortung für das Verwirklichen unserer Werte allein beim Staat liegt und Aufforderung, mündige Bürgerinnen und Bürger zu sein – ganz entgegen der Idee von „denen da oben und uns hier unten“. Eleanor Roosevelt jedenfalls glaubte daran, dass „die Zukunft jenen gehört, die an die Schönheit ihrer Träume glauben.“
Menschenrechte „ganz in der Nähe“
Allerdings braucht es, um in den „kleinen Orten, ganz in der Nähe“ Menschenrechte leben zu können, nicht nur das Wissen darum, dass es sie gibt. Es braucht auch ein Gewahrsein dafür, wann sie verletzt oder vergessen werden und vor allem dafür, was sie für mich selbst als Individuum bedeuten. Was meine ich damit? Hat man einmal erfahren, was etwas für einen selbst bedeuten kann, Würde zu erfahren, nicht gleich verurteilt zu werden, frei und unbehelligt die Meinung sagen zu können usw., fällt es leichter, das auch anderen angedeihen zu lassen und für diese Werte einzustehen. Das heißt aber auch, dass man nicht um die Erfahrung umhinkommt, wie das überhaupt geht, diese Werte auf sich selbst anzuwenden.
Im Folgenden einige Beispiele:
Würde
Wie selbstverständlich ist es für uns selbst, „frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ zu sein, wie der erste Artikel der Menschenrechte es formuliert?
Billigen wir uns selbst die gleichen Rechte und die gleiche Würde zu wie anderen oder umgekehrt, anderen die gleichen Rechte und die gleiche Würde wie uns? Wie schnell sind wir unbewusst bereit, uns jemand anderem, der oder die vermeintlich mehr Status, Ansehen, besseres Aussehen, mehr Macht usw. hat, zu unterwerfen? Zur berühmten Begegnung auf Augenhöhe gehört Bewusstseinsbildung, ist sie doch in unserem Stammhirn, das viele unserer spontanen Reaktionen steuert, nicht angelegt. Und wie schnell passiert es, dass jemand sich selbst aufwertet, indem er den oder die andere herabwürdigt?
Für sich selbst Würde zu beanspruchen und vor allem sie auch wahrzunehmen, ist alles andere als selbstverständlich. Würde hat zu tun mit Selbstwert, Selbstwirksamkeit und dem Wissen darum, „richtig zu sein“. Sie ist das Gegenteil von Scham und Beschämung und stirbt dort, wo man nicht gehört oder wahrgenommen wird.Sie haben eine hervorragende Option gewählt, Bilder und Text in Ihre Website zu integrieren. Verschieben Sie das Bild in diesem Container nach Belieben, der Text passt sich automatisch an. Sie können Veranstaltungen/Events, Teammitglieder, neue Produkte und mehr leicht und kreativ anzeigen. Fügen Sie zunächst ein Bild aus der Bildauswahl ein und bearbeiten sie es genau wie andere Bilder im System. Verknüpfen Sie das Bild zum Beispiel mit vorhandenen Seiten auf Ihrer Website, mit der URL einer Website, einem Popup oder einer Textmarke. Fügen Sie nach der Auswahl des Bilds den Text hinzu. Der Text kann eine Bildbeschreibung sein, das Bild kann aber auch nur als Dekoration verwendet werden. \nSie haben eine hervorragende Option gewählt, Bilder und Text in Ihre Website zu integrieren. Verschieben Sie das Bild in diesem Container nach Belieben, der Text passt sich automatisch an. Sie können Veranstaltungen/Events, Teammitglieder, neue Produkte und mehr leicht und kreativ anzeigen. Fügen Sie zunächst ein Bild aus der Bildauswahl ein und bearbeiten sie es genau wie andere Bilder im System. Verknüpfen Sie das Bild zum Beispiel mit vorhandenen Seiten auf Ihrer Website, mit der URL einer Website, einem Popup oder einer Textmarke. Fügen Sie nach der Auswahl des Bilds den Text hinzu. Der Text kann eine Bildbeschreibung sein, das Bild kann aber auch nur als Dekoration verwendet werden.
Unschuldsvermutung
Wie oft fühlen wir uns selbst schuldig, ohne genau zu wissen warum und entschuldigen uns von vornherein schon einmal automatisch? Wie schnell passiert es uns, dass wir jemand anderen beschuldigen, um uns nicht selbst einen Fehler zugestehen oder eine andere Erklärung suchen zu müssen? - Die Menschenrechte gehen davon aus, dass jemand so lange als unschuldig zu gelten hat, bis die Schuld nicht in einem öffentlichen Verfahren, bei dem er oder sie alle „für seine Verteidigung notwendigen Garantien gehabt hat, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.“ Und sie gehen auch davon aus, dass nur dann jemand verurteilt werden darf, wenn das, was er getan hat auch zur Zeit seiner Tat bereits strafbar war.
Selbstverurteilungen stammen oft aus einer Zeit, in der andere, meist unsere Eltern oder erwachsene Bezugspersonen, uns gesagt haben, was gut und richtig ist oder in der wir ungefragt Schuldgefühle unserer Eltern oder gar früherer Generationen übernommen haben.
Grundsätzlich ist das Gefühl von Schuld sinnvoll, weil Menschen dadurch Recht von Unrecht unterscheiden können und es sie davon abhalten kann, Unrechtes zu tun. – Darauf will ich jedoch nicht hinaus. An dieser Stelle ziele ich auf Selbstverurteilungen ab, die aus Schuldgefühlen ohne Schuld entstehen. Selbsturteile, die ganz schnell und automatisch ohne Verhandlung und ohne fassbare Vergehen gefällt werden. In solchen Fällen kann es helfen, sich an das Recht der Unschuldsvermutung zu erinnern und nicht eine Schuldvermutung vorauszusetzen. Wie schnell übernehmen Kinder das Gefühl von Schuld, wenn sie von den Eltern beispielsweise hören „Du bist noch mein Sargnagel“ oder erfahren, dass die Eltern nur ihretwegen zusammengeblieben sind oder etwa von den Großeltern an die Eltern an das Kind ein Familiengeheimnis übertragen wurde, welches das Kind zwar gespürt hat, über das aber nie gesprochen wurde.
Gelingt es Dir, die Unschuldsvermutung auf Dich selbst anzuwenden, solange Du kein Vergehen erkennst bzw. andere Dir dieses Vergehen auch nicht überzeugend nachweisen können? (Behaupten zählt nicht!)
Meinungsfreiheit
Das Recht auf Meinungsfreiheit ist auch in Europa recht jung. Freie Meinungsäußerung war bis Mitte des 20. Jahrhunderts alles andere als selbstverständlich. War es noch im 19. Jahrhundert die Zensur, die entschied, was ausgesprochen oder geschrieben werden durfte, waren es im 20. Jahrhundert Diktaturen, die die Meinungsfreiheit missachteten. Heute besteht diese Schranke vor der Freiheit der Meinungsäußerung aus schwer fassbaren Mechanismen wie „Mainstream“, „Werbewirksamkeit“, der Dynamik sozialer Medien oder der „Verkaufswirkung“ von Nachrichten.
Und bei uns selbst im ganz persönlichen Umfeld? Gegenüber dem Partner? Gegenüber uns selbst? Gestehst Du Dir zu, das auch zu denken, was Dir gerade einfällt oder zensierst Du es allzu schnell als „kindisch“, „irrelevant“, unsinnig“? Ist Dein innerer Zensor, bzw. der innere Kritiker aktiv und sein immer aktueller Satz „Was sollen denn nur die anderen denken?“ auch immer wieder wirksam? Wie viel von dem „kleinen Mut“ hast Du, um Deinem Partner auch wirklich zu offenbaren, was Du denkst? Wie oft hältst Du Dich zurück, um nicht lächerlich zu wirken oder um keinen Streit zu provozieren, der unbequem sein könnte? Gerade in einer Partnerschaft schleicht sich so viel Unausgesprochenes ein. Sei es aus einer falsch verstandenen romantischen Idee heraus, dass der andere einen ja ohne Sprache verstehen sollte. Oder sei es wegen fehlender Vorbilder, die uns nie vorgelebt haben, wie man sich einander ruhig und vertrauensvoll offenbaren kann, sich einander zeigen kann, wie man wirklich ist. – Und ja, solche Gespräche brauchen Übung, Selbstvertrauen und Mut. Aber wie beispielsweise Michael Lukas Moeller mit seinen „Zwiegesprächen“ zeigt, lässt sich dieses besondere Miteinander lernen und immer wieder praktizieren. Über die Partnerschaft hinaus, fördert das den „kleinen Mut“, der einem auch in anderen Situationen im Alltag ermöglicht, Meinungsfreiheit zu verwirklichen und damit als Individuum zu Demokratie beizutragen. Genau dort an dem Ort, „der in keiner Landkarte“ steht.
Erholung und Freizeit
„Jeder Mensch hat das Recht auf Erholung und Freizeit…“ Einfach so. Ohne Wenn und Aber, weil wir Menschen sind. Artikel 24 der Menschenrechte nennt keine Bedingungen, sondern präzisiert das mit den Worten „vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und regelmäßigen bezahlten Urlaub“. Wie ist das bei Dir selbst? Gestehst Du Dir ausreichend Ruhepausen zu oder musst Du sie Dir erst „verdienen“? Pflegst Du Deine Erholung und gönnst Dir selbst regelmäßig spielerische Momente? Julia Cameron regt dazu an, diese spielerischen Momente bewusst zu pflegen und sich mit sich selbst dafür zu verabreden. Sie plädiert in ihrem „Weg des Künstlers“ zu geplanten Verabredung mit dem inneren Künstler, um den inneren kreativen Freiraum zu kultivieren oder gar erst einmal kennen zu lernen. Ein „ich mache das, wenn ich … erreicht habe, …“ passt dazu ebensowenig wie zum Gedanken des individuellen Rechts auf Erholung und Freizeit.
Schlussbemerkung
Mir ist es ein Anliegen, meinen Beitrag dazu zu leisten, dass wir eines Tages vielleicht gut, i.e. liebevoll, respektvoll, friedlich und offen miteinander umgehen. Dazu ist es notwendig, zuerst einmal liebevoll, respektvoll, friedlich und offen mit uns selbst umgehen zu lernen. Entfaltung der Persönlichkeit ist für mich kein Egotrip, sondern ein Beitrag zum Frieden auf dieser Welt. Sich an die Menschenrechte zu erinnern und zu üben, sie auf sich selbst anzuwenden, kann ein kleiner Schritt sein. - Und stell‘ Dir vor, wo kämen wir hin, wenn alle ihn tun würden…!?
Wir können der Tatsache nicht ausweichen, dass jede einzelne Handlung, die wir tun, ihre Auswirkung auf das Ganze hat. Albert Einstein
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